47.                           Wewelsburg, d. 20.Okt. 1946
                                  Attichy, d. 31.Oct.46.

          Mein herzliebster Franz!
              Heute muß ich mir immer wieder
vorstellen, wie glücklich ich mit Dir wäre, wenn
wir zusammen sein könnten. Ach, Geliebter, wie lange
werden wir noch getrennt sein, wie lange mußt
Du das schwere Los der Gefangenschaft tragen?
Aber wir wollen nicht mit unserem Schicksal hadern,
denn wenn man erst damit anfängt, wird alles
doppelt schwer. Liebster, in Treue werde ich auf Dich
warten. Laß Dir das eine Erleichterung sein.
Aber Du mußt auch jede Gelegenheit wahrneh-
men u. mir schreiben. Jetzt kannst Du mir doch
ganz lange Briefe schreiben. Ich bitte Dich ganz
herzlich darum. Wir brauchen keine Angst mehr
haben, daß ein anderer die Briefe liest. Einen Vorteil
haben wir also doch. Schreib mir mal, was Du so
den ganzen Tag zu tun hast. Mich interessiert
alles in bezug auf Dich.
Ich habe heute den ganzen Nachmittag verschlafen.
Eigentlich sollte man etwas Besseres tuen, schließ-
lich verschläft man das halbe Leben. Aber das
Schlafen hat den schönen Vorzug, daß man alles
Unangenehme vergißt. Das kann man auch durch
Lesen, besonders die dummen Gedanken kann man
damit verscheuchen. Von den Büchern, die ich von Dir
habe, lese ich am liebsten in dem Buch Der singen-
de Pfeil, u. den Briefen von Rilke, an einen jungen
Dichter. Den spanischen Rosenstock kann ich auch
immer wieder lesen. Jetzt habe ich von Bergengruen
„Am Himmel wie auf Erden” gelesen. Es hat mir
sehr gut, viel besser gefallen als „Der Großtyrann
u. sein Gericht”. Allerdings soll Letzteres besser sein,
vielleicht war ich damals noch zu jung, als ich
es las. Ich weiß nicht mehr viel davon. --
Meiner Mutter geht es noch nicht besser.
Sie verliert allmählich die Geduld u. das ist
schlecht für sie. Maria ist für einige Tage
hier. Es geht ihr sehr, sehr schlecht. Sie ist ja
auch arm dran. Nach Hause kann sie nur
dann kommen wenn Willi nicht in Sicht ist.
Es ist ein Trauerspiel, ich will lieber nicht
daran denken. Und unten mit Tante zu leben, das
ist auch nicht rosig. Hanna ist sehr traurig
weil sie ihren Erich nicht heiraten kann, weil
er nicht kath. ist. Weihnachten kommt er wieder.
Es hat eigentlich keinen rechten Sinn, denn es
muß ihnen doch nur noch schwerer werden.
Aber ich würde auch in Hannas Stelle nicht
auf diese gücklichen Tage verzichten.
Von Deiner Tante soll ich Dich grüßen. Du wirst
doch nun wissen, daß sie bei Ottens wohnt.
Im Dorf gibt es sonst nichts Neues. Für Politik
interessiere ich mich zu wenig, um Dir viel davon
zu schreiben. Vor 1 Woche waren die Wahlen. Ich stehe
nicht auf der Liste, habe mich nicht darum bemüht.
Es ist u. bleibt ja doch alles Lug u. Trug. Diese
Männer da in Nürnberg hat man erhängt.
Göring hat vorher Selbstmord durch Vergiftung
begangen. Wie er zu dem Gift gekommen ist, ist
noch nicht raus. Die Sperrzeit ist seit 2 Wochen
ganz aufgehoben. Ich denke all diese Dinge erfährst
Du schon von anderer Seite. Hier sind jetzt Belgier
als Besatzung. Sie sind ganz friedlich.
Am Freitagnacht ist aus der Kirche der Teppich
gestohlen worden. Die Diebe hat man noch nicht erwischt.

Liebster, ich hoffe in den nächsten Tagen einen langen
Brief von Dir zu kriegen. Hanna hat mir heute abend
einen extra dicken Gruß für Dich aufgetragen.
Einen langen und innigen Gute-Nacht-Kuß u.
1000 herzliche Grüße,
empfange von Deiner Josi.

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Blatt 1/4 von 1946.10.20 Brief Josi an Franz



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