Freitag, d. 4.Jan.1946

  Meine Liebste Josi!
Die herzlichsten Grüsse aus St. Dizier in Frank-
reich sendet Dir Dein Franz. Vielleicht hast Du mei-
nen Brief von vorigem Sommer erhalten, vieleicht auch
nicht. Könnte ich meinen Worten den Ausdruck ver-
leihen, damit Du verspürst, wie sehr ich Tag um Tag
an Dich denke und auf den Tag warte, an dem wir
wiedersehen können. Vielleicht ist er gar nicht
mehr so fern. Jetzt bietet sich mir die Gelegenheit,
einen Brief direkt von Deutschland abschicken zu lassen.
Diese Gelegenheit lasse ich nicht vorbeigehen. Ich wollte
schon Sonntag einen Brief über die Schweitz abgehen
lassen, auch auf krummen Wege. Du kannst mir wieder-
schreiben an die Adressse, die auf dem Umschlag steht.
Ich lag schon im Bett, da kommt ein Kamerad von mir, ein
junger gewesener Leutnant, und sagt, daß er morgen früh
mit einem Amerikaner nach Deutschland fährt. Das ist
ja die Gelegenheit. Der Amerikaner besucht eine Familie. wo er
öfter hinkommt. Auf diesem Wege kannst Du mir dann
vielleicht wiederschreiben. Sonst habe ich noch keine Nach-
richt auch von meinen Eltern nicht. Ende November haben
wir eine Suchkarte schreiben können. Da habe ich gleich an
Dich auch eine geschrieben, obwohl wir nur eine schreiben
konnten. Nun will ich Dir auch von meinen Verhältnissen
hier schreiben. Um alles zu schreiben, von anfang an, was passiert
ist und was ich mitgemacht habe, wird der heutige Abend nicht
reichen. Gestern hatte ich Geburtstag. Es ist wohl das schönste
Geburtstaggeschenk, daß ich Dir schreiben kann. Am II.
April voriges Jahr bin ich in Gefangenschaft gekommen in Bracht
im Sauerland. Ich hatte mich gestellt. Ich war vorher noch bei
meinen Eltern in Berge gewesen und war dann mehrere Tage
bei meinem Onkel in Bracht, wo ich das Ende des Krieges erwartete.
Es waren noch schlimme Tage. Die Amerikaner brachten mich
zum Glück sehr schnell, in 4 Tagen, in ein großes Lager in Frank-
reich, wo ich ein und einen halben Monat war. Dann kam ich
mit den anderen Ärzten, die dort waren in ein anderes Lager,
von wo wir verteilt wurden zum Einsatz. Ich kam dann Ende
Juli zu einer Autoreparaturwerkstatt mit einem Zahnarzt,
der auch jetzt noch bei mir ist. Wir beiden sind die Lagerärzte von
einem Lager, das jetzt noch 150 Mann hat. Vorigen Sommer waren
es mal tausend. Wir führen jetzt ein sehr schönes Leben. Es
ist nur gut, daß wir hier den Winter überstehen, als anderswo,
wenn man eben dieses Schicksal hat, der Freiheit beraubt zu
sein. Aber einmal wird auch uns wieder die freie Sonne
scheinen. Zweimal fast jede Woche komme ich nach Bar le Duc
in ein deutsches Hospital, wo ich eine Wasserprobe untersuchen
lasse. Dort habe ich einen Bekannten Zahnarzt aus dem Sauerland,
der mit mir studiert hat. Auch hole ich meine Arzneimittel
dort ab und lasse ab und zu Leute dort untersuchen. Und
einer schwer krank wird, bringe ich ihn dort hin. Allein kann
ich nicht dorthin. Es muss immer ein Amerikaner mit. Posten
haben wir schon lange nicht mehr. Es sind nur einige Wachposten
am Lager. Die Leute können alle so gehen und fahren, nur es muß
ein Amerikaner mit, unbewaffnet.
II
Die Leute, die beim Franzosen Gefangene sind, sind viel
schlimmer dran. Aus einem französ. Lager kam fast jede
Woche der Sanitäter zu mir um zu betteln. Er kam gerne,
denn er ging immer mit einem schweren Rucksack wieder weg.
Unsere Leute haben gegeben, was sie konnten. Wir hatten bis
kurz vor Weihnachten über genug zu essen. Jetzt haben wir
noch gut und genügend zu essen. Ich habe mich auch diesen
Sommer ganz gut herausgemacht. Auch das Weihnachts-
fest haben wir schön gemeinsam gefeiert. Ein kleines Lager ist
immer besser als ein großes. Es gab Christstollen, Plätzchen
und Schokolade am heiligen Abend. In einer leeren Baracke
sassen wir gemeinsam beim Christbaum und haben die
Sachen gegessen und Weihnachtslieder gesungen. Weihnachten
selbst morgens 5h war Christmette, an der sehr viele teil-
nahmen. Wir hatten in derselben Baracke einen Altar aufge-
baut. Auch besitzen wir ein kleines Harmonium, auf dem
ich selbst schon verschiedene Lieder spielen kann. Auch das
lerne ich noch in Gefangenschaft. Neujahr haben wir auch ganz
nett gefeiert. Wir beiden Ärzte und noch drei gewesene Offiziere,
die bei uns sind, sassen um den Weihnachtsbaum. Um 12h
sind wir alle auf die Stühle gekletter und ins neue Jahr
hineingesprungen, das uns doch wohl sicher unsere Heim-
kehr bringen wird. So viel von mir. Und wie geht es Dir
leibste Josi? Ich hoffe, doch gut. Man hört alles Gute aus
der brittischen Zone. Nur hörte ich damals, daß die SS die
Wewelsburg gesprengt hätte. Ist denn sonst noch was passiert?
Wieviel Fragen drängen sich auf! Wie geht es Deinen Eltern und
Geschwistern? Wie habt ihr die Zeit der letzten Tage des Krieges über-
standen? Habt ihr Nachricht von Heinrich, Otto und Willy?
Wie geht es meiner Kusine in Ahden? Hast Du Verbindung
mit ihr? Und habt Ihr meine Sachen noch in sicherer Ob-
hut? Oder sind sie alle bei Hausdurchsuchungen durcheinander
gewirbelt oder geklaut worden? Und hast Du Verbindung mit
meinen Eltern und vielleicht auch mit meiner Tante in Wünnen-
berg? Lebt sie überhaupt noch? Und dann noch, was wichtig
ist. Hast Du meine Papier bekommen? Dr. Hermann Hinteler
hatte sie vor Ostern mit nach Geseke genommen, wo er sie
zu Königs bringen sollte mit einem Brief für Dich, damit
Du sie dort abholen könntest? Aber alles ist nicht so wichtig
wenn Du nur gesund und munter bist. Schreibe doch bitte
meinen Eltern, daß ich gesund und munter bin und daß es
mir gut ginge. Und sie sollten meine Sachen von Bracht holen,
die ich dort gelassen hätte. Die Braut von Dr. Hermann Hinteler
wohnt in Geseke, eine Geschwinder. Königs kennen sie vielleicht.
In Deutschland geht die Post jetzt wieder. Deshalb kann ich
Dir auch auf diesem Wege schreiben. Schreibe doch bitte auch
nach Bad Salzuflen zu „Frl. Maria Schöne, Bad-Salzuflen,
Lerchenpfad 5.” Sie hat für mich die Doktorarbeit geschrieben.
Schreibe bitte, daß ich noch unter den Lebenden sei und es
mir gut ginge. Wenn ich zurückkäme und in der Lage wäre
würde ich alles wieder gut machen. Sie hatte mit der
Doktorarbeit noch hinterher, als ich schon fort war noch
viel Arbeit. Du kannst vielleicht dort auch mal hinfahren,
wenn Du die Möglichkeit dazu hast. Und bei ihr die Doktor-
urkunden abholen. Nun will ich noch unser Gebet an Mutter
Gottes beten und an Dich heute ganz besonders denken. Sei
ganz herzlich gegrüßt von Deinem immer an Dich denkenden
                        Franz

Viele herzlich Grüße auch an Deine Eltern und Geschwister bes. an Maria.
Und viele Grüße an meine Kusine Agnes und die anderen Bekannten in Wewelsburg,
Tante Saaake, Ottens u.s.w.

Es bieten sich vielleicht auch noch andere Gelegenheiten mir zu schreiben. Einmal
die Suchkarte, oder ein Brief von mir mit der Nummer. Auf diesem Wege kannst Du schreiben, was
Du willst.

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Blatt 1/4 von 1946.01.04 Brief Franz an Josi



Blatt 2/4 von 1946.01.04 Brief Franz an Josi



Blatt 3/4 von 1946.01.04 Brief Franz an Josi



Blatt 4/4 von 1946.01.04 Brief Franz an Josi