Sonntag, d. 2.Juni.46. Herzliebste Josi! Die herzlichsten Sonntagsgrüsse sendet Dir Dein immer an Dich
denkender Franz. Jetzt ist Dein Geburtstag auch schon gewesen, an dem ich bei Dir sein wollte. Aber es hat noch nicht
sein sollen. In einer Woche ist Pfingsten, das schöne Fest. Aber diesen Monat kannst Du mit mir rechnen. Ich hoffe wenig-
stens, dass ich diesen Monat von hier fort komme. Deinen lieben Brief vom 20. Mai habe ich vorgestern erhalten, wofür ich Dir
herzlichst danke. Was hast Du denn für einen Traum gehabt? Erzähle mir, ob der Traum so in Erfüllung geht, wie Du ihn sahst. Also
ich halte nicht viel von Träumen. Sie sind meist Wünsche oder vergangene schöne Ereignisse. Meiner Mutter kannst Du mitteilen,
dass es mir noch gut geht und ich diese Woche 2 Brief von ihr erhalten hätte. Ein Brief vom 12. der andere vom 19.Mai. Es freut
mich, dass sie mir alles schreibt und die Verhältnisse und Aussichten für die Zukunft schildert. Sie macht mir soviel Hoff-
nung, dass die Aussicht für die Tätigkeit in meinem Beruf sehr gut sei, weil ich kein Nazi gewesen sei. Andererseits schreibt sie
auch, dass die Lebensverhältnisse sehr schlecht seien, aber sie würden sich schon durchschlagen. Auch die Nöte mit dem Hausbau schreibt
sie mir. Schreibe auch Du mal Deine Eindrücke. Besonders siehe Dich mal um, wo sich für mich die Möglichkeit einer späteren
Praxis auftut. Zuerst muss ich die Medizinalpraktikantenjahre machen, oder sogar an der Universität einen Wiederholungskurs
mitmachen. Ich hörte davon. Nach all diesen Dingen kannst Du Dich mal umhören und mir mitteilen, wenn wieder bei Dir bin.
Die Stelle als Medizinalpraktikant ist mir sicher in Dortmund durch den Probst. Frag doch mal in Geseke nach meinem Bekannten
Dr. Hermann Hinteler, der die (Geschminder?) von Geseke hat. Königs werden wohl Bescheid wissen. Sie hatten ja die P. von ihm mitge-
bracht bekommen. Wo steckt er jetzt wohl? Ob Du mir auf diesen Brief nochmal wiederschreiben kannst, weiss ich nicht. Es kommt
drauf an, wie schnell er läuft. Vor allem brauchst Du nichts Wichtiges mehr zu schreiben. Verwahre es in Deinem herzen und teile es mir
mündlich mit. Denn jetzt kann ich doch nichts unternehmen, und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das Leben in Freiheit vor sich geht.
Herzliche Grüsse Deinen Eltern, Tante, Hilde, Mia, Hanna u. Anneliese. Und Dich grüsst in banger Sehnsucht Dein immer an Dich denkender  Franz

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Blatt 1/1 von 1946.06.02 Brief Franz an Josi